Eine kurze Geschichte der Hand
"Vom Faustkeil zur Funkmaus"

Die Ausbildung der Hand und ihrer universellen Fähigkeiten ist ein Prozess, der eng mit der Entstehung der menschlichen Kultur verknüpft ist - mehr noch: der Gebrauch der Hand hat unsere Zivilisation überhaupt erst ermöglicht. Dies ist eine lange und komplexe Geschichte, auf die im Folgenden exemplarisch eingegangen werden soll.

Die ältesten Zeugnisse der menschlichen Hand finden sich in Höhlen und an Felswänden, als sogenannte Handpositive oder -negative, je nachdem, ob die bereits mit Farbe bedeckte Handinnenfläche auf den Stein gepresst oder das Pigment erst aufgetragen wurde, nachdem die gewünschte Position erreicht war.
Diese frühen, absichtsvoll hinterlassenen Spuren - besser Signaturen - belegen, dass der Mensch schon vor langer Zeit die Möglichkeiten nutzte, in seine Umwelt "einzugreifen" und sie nach seinem Willen zu gestalten.

Der Hand als ausführendem Organ des menschlichen Körpers fällt dabei eine Schlüsselrolle zu: sie ist das Ergebnis eines Evolutionsprozesses, der vor mehreren hundert Millionen Jahren seinen Anfang nahm. Im Lauf dieser unfassbar langen Entwicklungszeit entstand ein flexibles und robustes Greiforgan, das in seiner Anpassungsfähigkeit für die unterschiedlichsten Tätigkeiten geeignet ist.

"Homo habilis" - der fähige, geschickte Mensch - gilt als der älteste Hominide, der Werkzeuge herstellen konnte. Er lebte vor knapp zwei Millionen Jahren in den Weiten der afrikanischen Wildnis und markiert den Anfangspunkt einer kulturellen Entwicklungsgeschichte, von deren vorerst letzter Stufe wir heute zurückblicken.

Eines der Grundmerkmale, die uns Menschen von den meisten Tieren unterscheiden, ist die Fähigkeit, Objekte zu bearbeiten und sie in geplanter Absicht zu verwenden. Diese "Artefakte" erhalten dadurch Funktionen, die sie von Natur aus nicht besitzen.

Der Faustkeil zählt dabei zu den ersten derartigen Hilfsmitteln des Menschen: "Silex" wurde zum wichtigsten Ausgangsmaterial, unter dessen Verwendung der frühe Mensch einfache Werkzeuge herstellte. Grobe Feuersteinknollen wurden solang aneinander geschlagen, bis sich daraus Spitzen oder scharfe Kanten ergaben, die zum Schaben und Schneiden geeignet waren.
Die Gesamtform des Faustkeils war abgestimmt auf den festen Griff einer hohlen, menschlichen Hand. Das Grundprinzip dieses Werkzeugs wurde über lange Zeit beibehalten und immer mehr verfeinert, bis schließlich Speerspitzen und Klingen angefertigt werden konnten. Parallel zur Feinmotorik der menschlichen Hand entwickelte sich der menschliche Geist, und man geht heute davon aus, dass die Befreiung des "Hand-Auge-Raumes" durch den aufrechten Gang zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Evolution des menschlichen Gehirns zählt.

Das Wort "Begriffsbildung" spiegelt diesen Zusammenhang wider. In ihm steckt noch die Handlung, das Greifen als Vorstufe des Begreifens und in diesem Sinn wurde die Hand mit ihrer Fähigkeit, zu berühren und zu tasten, zum wichtigsten Bindeglied für Wahrnehmung und Kommunikation.

Der Mensch besitzt eine Vielzahl von Handzeichen, die universell einsetzbar sind und in ganz unterschiedlichen Kulturen verstanden werden. Die "Sprache der Hände" umfasst Gesten wie den Zeigefinger als räumlichen Hinweis, den Daumen (nach oben oder unten) als persönliche Urteilsbekundung, die geballte Faust als Zeichen von Erfolg oder Aggression usw.
Diese archaischen Symbole wirken auf einer nonverbalen Ebene und besitzen meist eine ungleich größere Wirkungskraft als die gesprochene Sprache. Sie unterstützen unsere verbalen Äußerungen und zeigen in der Regel die wahren Inhalte der Botschaften. Nicht umsonst umfasst die Rhetorik auch den passenden Gebrauch der Hände, um die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu gewinnen.

Die Partnerschaft von Hand und Mund geht sogar so weit, dass manche Menschen kaum mehr zu verständlichen Äußerungen fähig sind, wenn ihnen die Hände gebunden sind. Dieser "gemeine" Trick aus Quizshows und Ratespielen gibt immer wieder Anlass zur Heiterkeit, doch steckt darin auch ein Hinweis auf eine seit Urzeiten praktizierte Kulturtechnik mit aggressiverem Inhalt: jemanden zu fesseln, bedeutet, die Beweglichkeit seines Handraums zu unterbinden - ihm damit seine Handlungsfreiheit zu entziehen. Menschen sind sich also schon immer der immensen Bedeutung der Hände bewusst. Individuellen "Handlungsspielraum" zu besitzen, wurde zum Schlüssel für Macht und Erfolg.

Doch bleibt die Hand in erster Linie das wichtigste Organ, über das Menschen ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. Ein fester Händedruck, ein aufmunterndes Schulterklopfen, ein zartes Streicheln - all diese Berührungen gehören zu einem breiten Spektrum von Handzeichen, mit dem wir unserem Gegenüber Einblick in unser Innenleben geben. Die Hand wird zum Sprachrohr unserer Seele, indem sie Tiefliegendes nach außen leitet und externe Reize verinnerlicht. Durch ihre Sensibilität für Oberflächen, Temperatur und Beschaffenheit werden die Hände zu empfindlichen Fühlern unseres Organismus. Hände sind die Expeditionsleiter des menschlichen Körpers, die sich ständig auf Forschungsreise befinden und laufend über die Zustände und Besonderheiten ihrer Umwelt berichten.

Seit relativ kurzer Zeit ist es möglich, diese Forschung auch in den virtuellen Raum auszudehnen - und wieder fällt der Hand dabei eine Hauptrolle zu: im Zeitalter von Internet und Virtual Reality ist die "Maus" das wichtigste Navigationsinstrument.

Nicht durch Zufall wird diese künstliche Kreatur von der menschlichen Hand gesteuert - nach wie vor besitzen wir nämlich kein geeigneteres Organ, um unserem Willen Ausdruck zu verleihen. Ob der Mausklick nun wirklich vergleichbare sinnliche Qualitäten wie der gewohnte Gebrauch der Hände aufweist, mag dahingestellt bleiben - fest steht, dass der formale Charakter dieses neuartigen Werkzeugs nach wie vor archaische Züge trägt.


Daniel Kufner
München 2005

Handnegativ
El Casillo, Spanien
ca. 13.000 v.Chr.
Objekt 1996
Wachs, Paketschnur
Detail 1996
Photographie, Wachsabdruck
Handschale, 2004
Tonscherben